Warum kümmerst du dich um sowas?

Es fällt mir einfach schwer, zu manchem die Klappe zu halten. Von sprachlichen Schnitzern bis hin zu politischen Debatten. Also sammle ich, was mir so auffällt -- und eine Bemerkung verdient...

Samstag, 27. Februar 2021

Grundsätzliches zum scharfen "S"

 Oder: Die merkwürdige Karriere eines langen S zu einem Alien

Holen wir noch einmal die schon gezeigte Schriftvorlage aus dem alten Italien hervor. In einem früheren Posting habe ich versucht zu zeigen, woher dieser seltsame Buchstabe kommt. 
Wegen seiner Verwendung in der italienischen Antiqua hat das doppelte "S" eine besondere Form erhalten, es setzt sich nämlich aus einem langen S und einem runden Schluss-S zusammen. Beide sind durch eine Verbindung zu einer Ligatur geworden.
Die erste Kursive für ein Buch wurde für ein Gebetbüchlein entworfen, wobei sich schmale, hohe Buchstaben sehr günstig erwiesen, um auch in einer sehr kleinen Drucktype gut lesbar zu sein. Es ging also um eine platzsparende Schrift. 
In der Fraktur war der Weg ein anderer, hier hatte das Schluss-S auf dem Weg über französische Kanzleischrift eine andere Form bekommen und entwickelte sich zum kleinen Z.
Darum sprechen wir beim ß auch von S-Z.
Das ist aber nur dann richtig, wenn es sich um Fraktur oder um altdeutsche Schreibschrift handelt.
Ob man ß oder ss schreibt, hat nur sekundär mit der Aussprache zu tun. Das ist eine brandneue Regel, die eigentlich durch nichts gestützt ist. Schließlich sprach man ja auch "Schluß" oder "Kuß" niemals mit einem langen "u", obwohl man es mit ß schrieb. Hier wurde eine neue Regel erfunden, während es ursprünglich nur um eine ästhetische Lösung ging, die sich dann als praktisch erwies und zur Kennzeichnung von Wort-Enden genutzt wurde, wie oben erklärt.
Die neue Regel hat dazu geführt, dass man inzwischen ein ß auch in einer Zeile von Versalien akzeptiert, was ich für einen schrecklichen Fehler halte. Denn international ist es völlig unverständlich, und dass die Verwechslung des "großen" ß mit B hoffentlich dieser Unsitte ein Ende setzt, ist mein Gebet.
Nur in der Schweiz ist man vernünftig und hat dieses Fossil getilgt. Hier wird konsequent "ss" geschrieben. Das ist auch folgerichtig, wenn man die Interessen der italienischen und französischen Schweizer berücksichtigt.
Was für ein Segen es doch sein kann, in einem Vielvölkerstaat zu leben.


Donnerstag, 9. Januar 2020

So doof bin ich auch

Wann immer ich diesen Gedanken vorgetragen habe,

Vom "weiblichen" Plural

... wurde ich mit leisem Räuspern darauf hingewiesen, dass es sich nur um ein grammatisches Gender handle. Danke. Ist mir bekannt.
Was mich aber vor allem amüsiert, ist die Tatsache, dass dieses Gendern politisch ja eher von links kommt, jedoch scheint die philosophische Grundlage linker Politik — nämlich der Marxismus, der ja die bis heute grundlegendste Analyse der Mechanismen von Ausbeutung geliefert hat — glatt vergessen zu sein.

Ich bin kein Marxist. Glaube ich. Und schon gar keine Marxistin. Ich hänge keineswegs dem Glauben an, dass ein Umsturz der Besitzverhältnisse von Produktionsmitteln alle Leiden der Welt beseitigt. Sprachgebrauch kann mühelos integriert und zur Gewohnheit gemacht werden, bleibt bloßes Dekor, ändert nichts, aber auch gar nichts an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Und so ist es auch mit Bildern. Was hat der Marienkult zur Verwirklichung einer weiblichen Priesterschaft beigetragen?
Na, bitte.

Zurück also zum Unterschied zwischen dem grammatischen "die" und dem biologischen "die".
Dieser Unterschied ist ja nur eine Beschreibung des heutigen Gebrauchs, aber wie, bitte, ist er denn mal entstanden? Was hat dazu geführt? Der Kern ist nun einmal, dass die weibliche Anrede irgendwann — vor 1000 Jahren?? — als höflicher empfunden wurde. Da führt kein Weg dran vorbei.

Und noch mal zum Mitschreiben: Gendern taugt als Diagnose von gesellschaftlichen Verhältnissen, ja. Aber nicht als Kur für Unwuchtigkeiten. Die müssen sozial und politisch bearbeitet werden. Die Sprache allein schafft das nicht, selbst ein verändertes Bewusstsein führt noch nicht zwangsläufig zu Fakten. Komisch eigentlich, dass Menschen, die sich politisch links verorten, nicht einmal so viel von Marx‘ Gedanken verstanden haben, der sagte, „Sein schafft Bewusstsein“. Nach dem Philosophischen Materialismus können nur Veränderungen der realen Grundlagen das Denken verändern. Nach Marx (nicht mein Taktgeber, aber ich kenne ihn) ist Bewusstsein die Folge der gesellschaftlichen (Besitz-)Verhältnisse.

Die Geschichte des „Sie“ würde also nach dieser Ansicht auf eine ursprünglich matriarchale Gesellschaft hindeuten, wie lange sie auch zurückliegen mag. Und nur das interessiert mich.

Folgen wir also der marx’schen Doktrin, so würden wir von Stund an aufhören, uns über sprachliches Gender den Kopf zu zerbrechen.

Sonntag, 4. August 2019

Es ist nicht zu fassen.

Wider das Vergessen -- so labelt seit langen Jahren die antifaschistische Gedenk-Kultur ihre Bemühungen, an die Opfer des Faschismus zu erinnern. Und da wird dieser Spruch kolportiert --- von wem? Ausgerechnet von denen, die dem gemütlichen Biertisch-Faschismus Tag für Tag Futter geben, jawohl, von den Hellblauen.
Irgendwelche Namen sollen da nicht vergessen werden.
Wen habt denn IHR schon zu betrauern?

Oh, ich hätte da Namen, die nicht vergessen werden dürfen.
https://www.derwesten.de/politik/das-sind-die-zehn-mordopfer-der-nsu-zelle-id7917310.html
Und dann auch noch die hier.
http://www.stolpersteine.eu/


Freitag, 19. Oktober 2018

Autoren rezensieren Autoren

Oh, dafür habe ich schon schön auf die Glocke bekommen. Dabei ist ein anderer Kollege ebenfalls der Meinung, dass man gerade mit kritischen Kommentaren den Kollegen hilft. Verreißt man sie so zum Spaß? Kaum. Undifferenzierte Verrisse erlebe ich eher von Schreibern, die reine Leser sind. Denn wenn sie Genre und Qualität verwechseln, wenn da Sätze kommen wie "Da mich dieses Thema überhaupt nicht interessiert, kann ich leider nur zwei Sterne geben", weiß man genau, dass diese Rezensenten (sind sie überhaupt eine lateinische Endung wert?) selber das Handwerk nicht betreiben. Und sie denken auch nicht darüber nach, dass sie den Schnitt dieser Bewertung gnadenlos in die Tiefe reißen, wenn sie ihre zwei Sterne gegen die zwei Fünf-Stern-Rezensionen setzen. Denn was vorher 5 war, ist schon gleich 12:3=4. Solche Bewertungen können über Kauf oder Nicht-Kauf entscheiden.
Seien wir doch froh, wenn Autoren zur Feder greifen! Sie wissen um die Schwierigkeiten, um die Mühe, die es kostet, ein Buch fertigzustellen. Sie erkennen die Ursachen eines Scheiterns und sind vielleicht so kollegial, der Kollegin einen Hinweis zu geben. Autoren können andere Autoren coachen, gegen Honorar oder auch ohne, ich kenne da wunderbare Beispiele. Sie können zeigen, dass es gerade nicht der Neid ist, der ihre Feder bewegt.

Samstag, 10. Februar 2018

Mit Pomp in der Typo-Szene gefeiert:

Das große ß

Ja, was sich anhört wie ein Karnevalscherz, ist Realität. Die Verwendung eines Großbuchstaben für das "scharfe S" ist offiziell.
Das halte ich sowohl sprachlich als auch ästhetisch als auch schriftgeschichtlich für eine Katastrophe. In einem typographischen Forum diskutierte ich mit Typografen über dieses meiner Ansicht nach monströse Objekt. Sie entgegneten mir, auch das W sei ja nicht im lateinischen Zeichensatz enthalten, sondern eine Verdoppelung des V. Der Vergleich hinkt jedoch, denn ich führte ins Feld, daß ein ß sich aus einem langen kleinen s und einem Schluß-s zusammensetzt, wie nebenstehendes Dokument aus der italienischen Renaissance einwandfrei belegt. Seltsamerweise wehrten sich die Teilnehmer an diesem Forum auch gegen so offensichtliche Belege und verwiesen nun wieder darauf, daß so alte Zeichen nicht mehr für uns verbindlich sein könnten.
Auf diesem Beispiel (links) sieht man die von dem geschichtsbewußten Typografen Zapf geschaffene Type Aldus. Sie heißt so nach dem venezianischen Verlag, der sich auf Typografen wie Bembo stützte. Das oben gezeigte Blatt ist typisch für die Schriftgestaltung dieser Zeit.
Es ist mir unbegreiflich, wie man sich gegen so schlagende Beweise sperren kann. Die einzige Erklärung ist: Ein neues Zeichen zu digitalisieren -- was ich früher selbst gemacht habe -- ist ist eine lukrative Arbeit. Und da die Zeichensätze für den digitalen Satz meistens von ITC, Adobe und anderen Schriftschmieden kommen, ist die Schaffung eines neuen, nur für den deutschen Sprachraum nutzbaren Zeichens eine verlockende und so schnell nicht endende Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.
Ein ß gehört nicht in eine Versalreihe. So war es immer. Es kann gar nicht so gestaltet werden, daß es nicht doch ein Fremdkörper wäre.

WEIßER ZAUBER stand über dem Weihnachtsmarkt in unserer Stadt. Weiberzauber?
GROßE KUNSTAUSSTELLUNG. Grobe Kunstausstellung? Ja, Kunst ist nicht immer etwas für Zimperliche.
FAßBRAUSE. Fab-Brause? Wie kann man von einem Ausländer, der das Deutsche nicht vollkommen beherrscht, erwarten, daß er damit zurechtkommt?
Und wie kam das zustande? Durch eine fehlerhafte Auslegung der Funktion des ß. Es enthielt noch immer die Regel des Schlußzeichens, auch wenn die Unterscheidung von Mittel-S und Schluß-S nicht mehr bekannt ist. Dennoch ist die Notwendigkeit dieses Zeichen immer noch tief in der Sprachstruktur verankert. In vielen Fällen können wir auf dieses Signal -- eines Wortendes -- nicht verzichten, ohne daß es krank aussieht.
Ganz ausführliche Schilderung der grammatikalischen Konsequenzen der "Reform" ist der Artikel hier.
Persönliche Schlußbemerkung: Ich schreibe das ß wie vor der Reform. In "daß" und "muß", aber niemals in einer Versalreihe. Wenn man vorher kein Problem damit hatte, MASSLOS oder DER GROSSE FLUSS zu verstehen, warum sollte es jetzt plötzlich ein Problem sein?
Und wenn Herr Maß kein Herr Mass sein will, dann schreibt ihn in Gottes Namen mit gemischter Schrift. Versalreihen sind etwas für schmückende Überschriften, aber sie sind überall da nicht nötig, wo dieser Konflikt auftauchen könnte.






Samstag, 11. November 2017

Eine Reise, die ein Leben veränderte


Ein für Facebook gesperrtes Video: Ein geborener Brite pakistanischer Herkunft erklärt, wie er überall in der muslimischen Welt auf anti-israelische Propaganda stieß, doch dann reiste er nach Israel, um sich selber ein Bild zu machen. Diese Erfahrung revolutionierte sein Weltbild.
Wenn Facebook dieses Video blockiert hat, dann haben sie nicht verstanden, worum es geht.

Freitag, 21. Juli 2017

Modediagnose??

Ein Kommentar zu einem Artikel der TAZ
Autismus ist also eine Mode-Diagnose, um Kindern Erleichterungen zu verschaffen. Würden Sie auch sagen, Migräne sei eine Modediagnose, um Leuten Schmerzmittel zu verschaffen? Autisten sieht man ihr Leiden nicht so an (Migränepatienten auch nicht immer). Ihr Leiden besteht zu einem großen Teil darin, dass die neurotypischen Menschen es nicht erkennen und sie mit allen anderen über einen Kamm scheren, ohne zu verstehen, was sie brauchen. Sie sehen nur die Wutanfälle, die vorkommen können, nicht aber, was zu ihnen geführt hat. Wenn man nämlich an ihnen herumzerrt wie die Hyänen an der toten Antilope, dann sind sie heillos überfordert und können nicht anders reagieren.
Die Autismus-Diagnose ist wegen der Verschiedenartigkeit der Bilder sehr schwierig und permanent in der Enwicklung. Was heute als Ausschlusskriterium gilt, könnte morgen in die Diagnose eingeschlossen werden. Das bedeutet: Nur weil ein Kind Augenkontakt erträgt, heißt das noch nicht, dass es kein Autist ist. Sondern als eine Betroffene, die mit 68 im Diagnoseprozess ist, sage ich: Autismus ist eine ganz andere Art der Wahrnehmung und der Kommunikation, der mimischen Signale, der sozialen Herangehensweise, dass große Anpassungsprobleme an die sozialen Gebräuche und Ausdrucksweisen der neurotypischen Menschen vorprogrammiert sind. Und nein, die gesellschaftlichen Umstände sind nicht der Grund -- und das hören Menschen mit einem sozialistischen Weltbild meistens nicht gern -- sondern es ist eine Veranlagung oder eine sehr frühkindliche Ausformung, die direkt einige Gehirnfunktionen verändert. Nichtsdestoweniger bleibt diese Grundlage, was immer "therapeutisch" angestellt wird. Dennoch sind Autisten die besten Lehrer ihrer selbst und zeigen später erstaunliche Anpassungsleistungen. Nicht das Genie ist die Regel, sondern der von der Gesellschaft ausgestoßene Mensch, dessen Problem nicht verstanden wird. Der Mangel an Empathie, und das beweist auch dieser Artikel, liegt also eher auf der neurotypischen Seite.

Update. Inzwischen habe ich eine mündliche -- positive -- Diagnose für Autismus vom Typ Asperger.