Warum kümmerst du dich um sowas?

Es fällt mir einfach schwer, zu manchem die Klappe zu halten. Von sprachlichen Schnitzern bis hin zu politischen Debatten. Also sammle ich, was mir so auffällt -- und eine Bemerkung verdient...

Freitag, 1. Februar 2013

Starke Verben werden schwach

Wie sang und klang es doch im Deutschen der Romantik. Das Präteritum war noch anerkannt und nicht verfemt. Erzählte man von einem Vorgang der Vergangenheit, dann war es selbstverständlich. Man ging, floh, focht, sprach, fror, ritt, schlug, schoss, brach und stritt. Man kannte die auf- und absteigende Melodie der drei Formen, drei Nornen der Sprache, drei verwandte und doch unterscheidbare Charaktere, die einen Akkord der Zeit sangen. Klingen, klang, geklungen. Der hohe Ton brilliert im Schwung der Gegenwart, die Zeit sank ab in die Vergangenheit und endlich auf den Boden der Zeit im Perfekt und Plusquamperfekt, in der Form der Vergangenheit vor der Vergangenheit. "Ich hatte lange nach ihm gesucht, bis ich 1813 einen letzten Versuch unternahm."

Im sogenannten Bildungsbürgertum überlebte die epische Erzählung. Sie beherrschte den Roman und die Novelle. Das Präteritum war die übliche Form.

Als ich, im Präteritum berichtend, was mir zuhause so passierte, in die Schule ging, sagte ein anderes Kind: "Du sprichst so komisch." Und auf mein Nachfragen antwortete sie: "Man sagt doch 'ich bin gegangen', 'ich bin gekommen', aber du sagst 'ich kam', 'ich ging'..." Als Kind hat man nicht das Selbstbewusstsein, damit umzugehen. Mir wurde nur klar, dass die Gebräuche bei uns zuhause anders waren, und ich führte es wieder einmal darauf zurück, dass wir Balten waren und keine "Reichsdeutschen". Es lag aber an etwas anderem. Meine Eltern hatten beide Abitur, mein Vater hatte zweimal promoviert, meine Schule hingegen lag in einem Arbeiterviertel, der hamburgischen Neustadt.

Es fällt auch heute wieder auf, dass die Imperfekt- oder Präteritum-Form von einigen Sprechern gern umgangen wird; am kläglichsten endet das, wenn man -- aus Unsicherheit, ob es geklappt hat mit der Darstellung einer Vergangenheit -- noch ein "gehabt" hinterherschleichen lässt. Und starke Verben werden schwach, wenn aus "gegoren" ein "gegärt" wird, was im übertragenen Sinn noch halbwegs zu entschuldigen ist, zum Beispiel, wenn es sich um den Zustand vor einer Revolution handelt; unentschuldbar ist es aber, wenn es den Zustand von Traubensaft im Bottich  beschreibt, der gerade zu Wein wurde. Und dergleichen Schnitzer finden wir immer wieder. Eine Weide wiegte sich im Wind, richtig, aber die Händlerin wog mir ein Pfund Butter ab. Ein Gesandter ist kein Gesendeter. Weitere Fundstücke werde ich bei Gelegenheit hinzufügen.

Das Englische, zu dem wir heute vielfach Zuflucht nehmen, rettet uns hingegen nicht vor den starken Verben. Als angelsächsische Sprache wahrt auch sie die farbigen, klangreichen starken Formen. Rise, rose, risen. Formen, die mitunter nicht einmal von englischen Sprechern perfekt beherrscht werden.
Das Denglische macht es also eher noch schlimmer.


Am wildesten wird es ja, wenn der "fightende" Sportler in der Vergangenheitsform beschrieben wird. In völliger Ignoranz darüber, dass auch im Englischen "fight" stark gebeugt wird: "he fought". Und da bietet sich doch die analoge deutsche Form an: "Er focht". Aber -- wer kennt die noch?