Man würde niemandem erlauben, sich als Atomphysiker auszugeben, der dieses Fach nicht jahrelang studiert und mit einem Abschluss gekrönt hat. Auf dem Gebiet der Spiritualität kann jeder Hans und Franz sich zum Tantriker oder Yoga-Experten erklären.
Im Buddhismus werden solche Inhalte, die sich mit Erleuchtung befassen, nicht auf dem Marktplatz breitgetreten, sondern nur von autorisierten Lehrern und Lehrerinnen gelehrt. Sie haben durch jahrelange Meditation und durch gründliches Studium der Sichtweise und durch persönliche Ermächtigung die Erlaubnis zur Weitergabe der höheren Praktiken.
Im Hindu-Yoga kann sich jeder selbst zum Guru erklären, der spirituelle Erlebnisse hatte. Entsprechend glauben auch die westlichen Yoga- und Tantra-Freunde, sie hätten die Qualifikation, um Kurse und Seminare abzuhalten.
Wer sind die wahren Feinde des Dharma?
Nicht die sind es, die eine Lehre mit Feuer und Schwert bekämpfen, denn Hinduismus und Buddhismus haben die Mogul-Herrscher überlebt. Der Hinduismus ist die beherrschende Religion Indiens geblieben.
Was dem Dharma aber viel mehr schadet, ist die Leichtfertigkeit, mit der kleine Hopsereien, Massage-Workshops und Yoga-Wochenenden schon gleich als Anlass genommen werden, mit Sanskrit-Begriffen um sich zu werfen, die das Ergebnis jahrtausendealter spiritueller Erfahrung sind. So werden sie banalisiert, und beim Hörer entsteht der Glaube, man könne sich diese Dinge einfach so aneignen, könne sie sich verbal übermitteln lassen, käme dadurch der Erleuchtung näher. Das ist, als würde man glauben, ein Sportstudium rein als Studium von Büchern über Sport absolvieren zu können. Vielfach fehlt auch der Glaube, vielfach liegt der Beschäftigung zwar ein Interesse am Wellness-Aspekt zugrunde, aber dieses geht einher mit einem tiefen Misstrauen gegenüber Religion, mit einer krassen Ablehnung der Gestalt des Guru, mit der irrigen Ansicht, man könne sich das alles selber beibringen. Aber zu diesem Ziel kommt man nur durch beharrliche Beschäftigung und Praxis mit Körper, Rede und Geist. Und man muss sich auf diesem Weg auf einen Guru stützen. Und ja, ich benutze diesen Begriff bewusst, denn er beschreibt einen Menschen, der sich gläubig und vertrauensvoll über lange Zeit diesem spirituellen Weg gewidmet hat, bis Ergebnisse eintrafen. Und so jemanden braucht man auf dem spirituellen Pfad.
Pfui, ein Guru!
Die wenigsten haben jemals einen Menschen getroffen, der diesen Weg bis zum Erfolg gegangen ist. Sie können sich das Charisma und die Wirkung eines solchen Menschen nicht vorstellen. Wie auch? Und wer nicht den Glauben hat und das Vertrauen, der kann selbst den Buddha nicht als erleuchtet erkennen, wenn er persönlich vor ihm steht. So ging es dem Koch des Buddha, der sich viele Jahre bei ihm aufhielt und ihn dennoch für einen ganz gewöhnlichen Menschen hielt; so erging es Heinrich Harrer in Tibet, der dem Dalai Lama ganz nah war und dennoch vom Dharma nichts verstand — wenigstens damals — und ihn sogar ein wenig verachtet hat. Seine Hochachtung für den Dalai Lama war somit halber Kram; ich weiß nicht, ob Herr Harrer jemals die Erfahrung nachgeholt hat, den Wert des Dharma zu erkennen. Denn ohne den Dharma hätte der Dalai Lama wohl kaum die charismatische Persönlichkeit entwickelt, für die er verehrt wird.
Viele Aussprüche werden kolportiert und dem Dalai Lama untergeschoben. Nur ein kleiner Teil davon ist authentisch. Und das ist die Gefahr. Nicht so sehr seine Feinde sind das Problem, sondern eher die gut gemeinten Verfälschungen, die von denen kommen, die keine spirituelle Praxis ausüben, sodass sie den Unterschied erkennen könnten.