Sarrazins Buch macht Furore. Ich habe immerhin die Einleitung gelesen -- ich kann mich nicht so recht durchringen, mir das Buch zu kaufen, ich würde es wohl ein bißchen peinlich finden.
Ich glaube, ich hätte auch nicht so viel dagegen, wenn Deutschland in der Form abgeschafft würde, die ich in der Entwicklung begriffen sehe: Eine wachsende Einflußnahme der nationalen Minderheiten. Aber dem Buch von Sarrazin scheinen ein paar Denkfehler zugrunde zu liegen.
1. Trends sind umkehrbar. Es kann passieren, daß die hier lebenden Ausländer sich entschließen, dorthin zu gehen, wo das Wetter besser ist und wo die Wirtschaft schneller wächst. Die Türkei erlebt einen Aufwärtstrend. Vielleicht wird es langsam erstrebenswert, dort sein Geld zu verdienen.
2. Ein bißchen Islam tut Deutschland ganz gut. Ich habe keine Angst davor, daß es zur beherrschenden Religion wird, denn wo es praktisch keine mehr gibt -- die Kirchgänger sind doch eine winzige Minderheit! --, da ist irgend eine Religion, den Satanismus mal ausgenommen, schon ein Fortschritt. Im Gegensatz zu vielen kristischen Gemütern glaube ich, daß ein Glaube Schlimmeres verhindert. Wir verweisen oft auf die Gefahren durch den Fanatismus in verschiedenen Religionen. Doch glaube ich, daß Fanatiker ihre eigene Religion nicht wirklich kennen und auch nicht ernstnehmen.
3. Deutschland hat schon früher unter einem Überfremdungseinfluß gestanden und tut es noch. Nach 1945 haben die Alliierten den Vorsatz gefaßt, die Deutschen umzuerziehen. Wenn wir mal durchzählen, welche Serien im deutschen Fernsehen den prominentesten Platz einnehmen, dann führen sicherlich die USA weit an der Spitze. Seit 65 Jahren werden wir also mit dem American way of life gespült, und das hat sicher auch eine gewaltige Wirkung gehabt. Man denke nur an die anfänglichen Mentalitätsunterschiede in Ost- und Westdeutschland, und wir sind ja auch eher froh, daß auf diesem Wege eine andere Kultur und Denkweise auf die immer noch stramm nazideutsch gebürsteten Deutschen einrieselte. Da war es zum Guten. Teils. Wehren wir uns mit dem Argument der Überfremdung gegen die Überrepräsentation von Feuerwaffen in amerikanischen Serien? Kaum.
4. Deutschland selbst arbeitet an höchster Stelle fleißig an der Abschaffung des eigenen Kulturgutes. Die unsägliche Rechtschreibreform zersetzt nicht nur die Schreibung, sondern auch Gebiete der Sprache, ich versuchte schon, es an meiner Kritik der Getrenntschreibung zu verdeutlichen.
Gutes Türkisch wäre dagegen eine Wohltat.
5. Sarrazin setzt voraus, daß das Abnehmen der Bevölkerungszahl gleichbedeutend wäre mit Rückgang des Lebensstandards. Da kann ich ihm überhaupt nicht folgen. Ich kann mir andere dünn besiedelte Länder vorstellen, in denen es sich sehr wohl gut lebt. Denn die Zwangsläufigkeit der Abfolge: Mehr Einwohner mit Migrationshintergrund = weniger Bildung = wirtschaftlicher Niedergang geht mir gar nicht ein. Denn meine Erfahrungen mit Menschen aus der Türkei waren folgende: Weniger Bildung ist da oft nur scheinbar vorhanden, weil der intellektuelle Hintergrund eines Menschen sich in einer Fremdsprache verbal nur unzulänglich ausdrückt. Und wo Bildung fehlt, tritt ein Vielfaches an praktischem Verstand in Aktion, was ich bei "meinen" Türken oft erlebt habe. Improvisationsfähigkeit und Lernbereitschaft machen manche Defizite wett, und vor allem trifft man nicht auf eine solche Bildungsfeindlichkeit wie bei Deutschen der Unterschicht. Hinzu kommt ein Überlebenswille, der sich aus der Erfahrung von Armut speist. Diese Erfahrung mag der jungen Generation fehlen; dennoch mangelt es ihnen nicht an Vitalität und Entschlossenheit, davon besitzen sie mehr, als ihre deutschen Altersgenossen aufbringen. Schade nur, wenn man ihnen Betätigungsfelder verweigert und sie somit in Kriminalität abdrängt.
Wir kranken immer noch am falschen Dreisatz der Fremdenfeindlichkeit. Dieser geht so:
1. Stufe:
Fremd ist anders und daher böse.
Das war der Stoff, aus dem die Demagogie des Nationalsozialismus sich nährte.
2. Stufe:
Fremd ist wie wir und somit gut.
Diese Einsicht wurde den Deutschen abgefordert, als ihr erstes Konzept gescheitert war und sie sich unter der Herrschaft der Sieger befanden.
Diese Stufe wurde dann aber von einem Teil der Menschen bedingungslos übernommen und wurde der Grund, warum Unterschiede so wenig wahrgenommen wurden, vielmehr: Sie durften nicht sein.
3. Stufe:
Fremd ist anders, aber dennoch gut.
Diese Stufe wurde von sehr vielen niemals betreten. Solange man aber die Unterschiede ignoriert, sind große Enttäuschungen die zwangsläufige Folge. Der Weg hinaus geht nur über das Akzeptieren des Andersartigen und dennoch scharfes Hinsehen und Anwendung des Gesetzes.
Was ist los in den Schulen?
Ich war eine der Lehrerinnen, die 1968 Abitur gemacht und 1969 studiert haben. Damals herrschte eine gespannte und ablehnende Einstellung gegenüber der Staatsgewalt -- auch bei denen, die auf Lehramt studierten und somit wußten, daß sie im Fall ihrer Verbeamtung zum Teil der Staatsgewalt werden würden (diesen Schritt vollzog ich nicht). Es galt in unserer Generation und auf der linken politischen Seite (und wer war damals nicht links??) als äußerst schimpflich, sich von "den Bullen" helfen zu lassen.
Wenn diese Einstellung, daß man mit der Polizei nicht kooperiert, weil man ja Verbündete(r) der lieben Schüler mit Migrationshintergrund ist und diese auch gar nichts Böses tun können, wenn diese Einstellung tatsächlich noch im Hintergrund stehen sollte, dann wundert es mich nicht, was für Zustände wir an den Schulen haben. Inzwischen ist es ja auch schon so, daß die Schwäche der Staatsgewalt in Verkörperung durch den Lehrkörper von allen denen geschickt genutzt wird, die mit Imponierverhalten und Drohungen bestens vertraut sind. Und dann wundert es mich auch nicht, wenn die Eltern ihrer drangsalierten Kinder den Thesen Sarrazins einiges abgewinnen können.