Warum kümmerst du dich um sowas?

Es fällt mir einfach schwer, zu manchem die Klappe zu halten. Von sprachlichen Schnitzern bis hin zu politischen Debatten. Also sammle ich, was mir so auffällt -- und eine Bemerkung verdient...

Montag, 25. April 2022

Anmerkungen zu den Konsequenzen der Reform

 

Versuchen wir mal, die Punkte zu strukturieren, die von der Reform angegangen wurden, und meine Kritik daran.

1. Es gibt Schritte weg von internationalen Gebräuchlichkeiten. Es ist mehrfach eine Abkehr von längst im Deutschen gebräuchlichen Wörtern hin zu unnötigen Änderungen zu beobachten: Tip -- Tipp.
Stop -- aber Stoppschild.
2. Nachdem versprochen war, dass es sich nur um Schreibungsänderungen, nicht um Eingriffen in die Sprache handeln würde, konnte dieser Vorsatz besonders in den Neunzigern nicht eingehalten werden. Vor allem mit erleichterter Getrenntschreibung wurde ein falscher Parameter gesetzt, der den Menschen suggerierte, jegliche Verbkombinationen dürften zerschlagen werden.
Die Bedeutung einer Zusammenschreibung wurde bisher mit dem Hilfsmittel der Betonung gefunden. Inzwischen ist aber durch eine Betonung, die der Schreibung folgt, eine Orientierung am Klang nicht mehr verlässlich. Hierbei ist anzumerken, dass ständiges Nachschlagen im Duden unrealistisch ist. Menschen, die im Alltag schreiben, brauchen Regeln, die aus dem Kopf angewendet werden können.
3. Das ß ist in seiner Entwicklung vom Ursprung getrennt worden, sein Stellenwert wurde grundlegend verändert (Sprachänderung, siehe oben). Dieses Zeichen, das im Antiqua-Druck aus einer Doppel-S-Ligatur entstanden ist, hatte ursprünglich eine ästhetische Funktion und war auch Signal für das Wortende. Parallel dazu entwickelte sich in den Frakturschriften ein Schluß-S., das vor allem bei langen Wörtern eine optische Abgrenzung anbot. Das ist bei der steilen, engen Fraktur, die sich aus der Schwabacher entwickelte, und bei der deutschen Tendenz zu Wortanhäufungen hilfreich. Es war ursprünglich kein Lautanzeige-Zeichen! Vermutlich waren es Sprechgewohnheiten, auch mundartlich verschieden, die anzeigten, welche Länge ein Vokal bekam.
Die Reform hat einen Paradigmenwechsel mit einer Lawine von dramatischen Änderungen ausgelöst. Das SZ, das scharfe S, hat einen neuen Job bekommen, es soll auf einmal zum Lautanzeiger gemacht werden.
Das hat gravierende Folgen für die Sprache und für die Typografie, die eigentlich ebenfalls nicht von der Reform hätte berührt werden dürfen. Außerdem hat es das deutsche Deutsch weiter isoliert von den deutschsprachigen Nachbarn in der Schweiz und von den anderen Sprachen weltweit. Denn:
a) Die Anzeige von langen Vokalen durch das folgende ß und von kurzen Vokalen durch das Doppel-S hat so niemals existiert. Wir haben Kuß, Schluß und Nuß mit kurzem U gesprochen, Gruß und Fuß mit langem. Das heißt: Das ß hat nur und nur eine Funktion als Wortend-Anzeiger gehabt, niemals eine lautbildende.
b) Das führte zu der Konsequenz, dass ein Zeichen für einen langen Laut in einer Versalreihe fehlte. Denn das ß ist und bleibt eine Kleinbuchstaben-Ligatur. Während man in der Schweiz entschlossen auf das ß verzichtet hat und alle scharfen S-Laute mit Doppel-S schreibt, hat man sich in Deutschland von den arbeitsfreudigen typografischen Anstalten davon überzeugen lassen, einen Großbuchstaben SZ zu schaffen, was einen grotesken Fremdkörper in die harmonische und seit über 2000 Jahren bewährte Römische Capitalis hineinpresst. Die Disharmonie, in der diese Formsysteme stehen, könnte nicht größer sein.
Warum war es denn früher möglich, STRASSBURG, GROSS-GERAU und FUSSPFLEGE mühelos zu verstehen? Weil wir, ebenso wie die Schweizer, daran gewöhnt waren, dass ein Doppel-S vor langen und vor kurzen Vokalen stehen kann. Und für die Frage, ob in der gemischten Schreibung das ß oder ss stehen sollte, gab es auch Regeln, die jeder kannte und die auch von Volksschülern meiner Generation richtig angewandt wurden.
c) Keine andere Sprache als das Deutsche verwendet ein "großes ß". Es ist für jeden ausländischen Leser unverständlich und erklärungsbedürftig, sieht zudem fatal ähnlich aus wie ein großes B und ist mit Sicherheit Anlass für zahllose Missverständnisse. Es sorgt für WEIBE WEIHNACHT, GROBE PARTY, ORT DER MUBE, und auf was für weitere Missdeutungen wir uns noch freuen können. Ja, dergleichen habe ich schon gelesen. Die Schaffung und Digitalisierung eines neuen Zeichens für alle Schriftsätze ist ein lukratives Geschäft für die Schriftanstalten. Die Reaktion auf Kritik ist entsprechend gallig.
4. Wo ist die Reform gut?
In EINEM Fall! Man schreibt jetzt Albtraum und nicht mehr Alptraum. Denn diese Träume, auch wenn sie schwer auf uns lasten, sind nicht vom europäischen Zentralgebirge, sondern von den Alben, Elben oder Elfen abgeleitet.
5. Wo ist die Reform unhistorisch?
Die Reform leitet für mein Gefühl einige Schreibungen nicht richtig ab. Beispiel: "rauh" oder "rau". Wenn man es mit "rough" und mit "Rauchware" in Verbindung bringen kann, dann muss man das "h" ein wenig hören können. "Rauhe Stürme" werde ich weiterhin genau so schreiben.

Samstag, 27. Februar 2021

Grundsätzliches zum scharfen "S"

 Oder: Die merkwürdige Karriere eines langen S zu einem Alien

Holen wir noch einmal die schon gezeigte Schriftvorlage aus dem alten Italien hervor. In einem früheren Posting habe ich versucht zu zeigen, woher dieser seltsame Buchstabe kommt. 
Wegen seiner Verwendung in der italienischen Antiqua hat das doppelte "S" eine besondere Form erhalten, es setzt sich nämlich aus einem langen S und einem runden Schluss-S zusammen. Beide sind durch eine Verbindung zu einer Ligatur geworden.
Die erste Kursive für ein Buch wurde für ein Gebetbüchlein entworfen, wobei sich schmale, hohe Buchstaben sehr günstig erwiesen, um auch in einer sehr kleinen Drucktype gut lesbar zu sein. Es ging also um eine platzsparende Schrift. 
In der Fraktur war der Weg ein anderer, hier hatte das Schluss-S auf dem Weg über französische Kanzleischrift eine andere Form bekommen und entwickelte sich zum kleinen Z.
Darum sprechen wir beim ß auch von S-Z.
Das ist aber nur dann richtig, wenn es sich um Fraktur oder um altdeutsche Schreibschrift handelt.
Ob man ß oder ss schreibt, hat nur sekundär mit der Aussprache zu tun. Das ist eine brandneue Regel, die eigentlich durch nichts gestützt ist. Schließlich sprach man ja auch "Schluß" oder "Kuß" niemals mit einem langen "u", obwohl man es mit ß schrieb. Hier wurde eine neue Regel erfunden, während es ursprünglich nur um eine ästhetische Lösung ging, die sich dann als praktisch erwies und zur Kennzeichnung von Wort-Enden genutzt wurde, wie oben erklärt.
Die neue Regel hat dazu geführt, dass man inzwischen ein ß auch in einer Zeile von Versalien akzeptiert, was ich für einen schrecklichen Fehler halte. Denn international ist es völlig unverständlich, und dass die Verwechslung des "großen" ß mit B hoffentlich dieser Unsitte ein Ende setzt, ist mein Gebet.
Nur in der Schweiz ist man vernünftig und hat dieses Fossil getilgt. Hier wird konsequent "ss" geschrieben. Das ist auch folgerichtig, wenn man die Interessen der italienischen und französischen Schweizer berücksichtigt.
Was für ein Segen es doch sein kann, in einem Vielvölkerstaat zu leben.


Donnerstag, 9. Januar 2020

So doof bin ich auch

Wann immer ich diesen Gedanken vorgetragen habe,

Vom "weiblichen" Plural

... wurde ich mit leisem Räuspern darauf hingewiesen, dass es sich nur um ein grammatisches Gender handle. Danke. Ist mir bekannt.
Was mich aber vor allem amüsiert, ist die Tatsache, dass dieses Gendern politisch ja eher von links kommt, jedoch scheint die philosophische Grundlage linker Politik — nämlich der Marxismus, der ja die bis heute grundlegendste Analyse der Mechanismen von Ausbeutung geliefert hat — glatt vergessen zu sein.

Ich bin kein Marxist. Glaube ich. Und schon gar keine Marxistin. Ich hänge keineswegs dem Glauben an, dass ein Umsturz der Besitzverhältnisse von Produktionsmitteln alle Leiden der Welt beseitigt. Sprachgebrauch kann mühelos integriert und zur Gewohnheit gemacht werden, bleibt bloßes Dekor, ändert nichts, aber auch gar nichts an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Und so ist es auch mit Bildern. Was hat der Marienkult zur Verwirklichung einer weiblichen Priesterschaft beigetragen?
Na, bitte.

Zurück also zum Unterschied zwischen dem grammatischen "die" und dem biologischen "die".
Dieser Unterschied ist ja nur eine Beschreibung des heutigen Gebrauchs, aber wie, bitte, ist er denn mal entstanden? Was hat dazu geführt? Der Kern ist nun einmal, dass die weibliche Anrede irgendwann — vor 1000 Jahren?? — als höflicher empfunden wurde. Da führt kein Weg dran vorbei.

Und noch mal zum Mitschreiben: Gendern taugt als Diagnose von gesellschaftlichen Verhältnissen, ja. Aber nicht als Kur für Unwuchtigkeiten. Die müssen sozial und politisch bearbeitet werden. Die Sprache allein schafft das nicht, selbst ein verändertes Bewusstsein führt noch nicht zwangsläufig zu Fakten. Komisch eigentlich, dass Menschen, die sich politisch links verorten, nicht einmal so viel von Marx‘ Gedanken verstanden haben, der sagte, „Sein schafft Bewusstsein“. Nach dem Philosophischen Materialismus können nur Veränderungen der realen Grundlagen das Denken verändern. Nach Marx (nicht mein Taktgeber, aber ich kenne ihn) ist Bewusstsein die Folge der gesellschaftlichen (Besitz-)Verhältnisse.

Die Geschichte des „Sie“ würde also nach dieser Ansicht auf eine ursprünglich matriarchale Gesellschaft hindeuten, wie lange sie auch zurückliegen mag. Und nur das interessiert mich.

Folgen wir also der marx’schen Doktrin, so würden wir von Stund an aufhören, uns über sprachliches Gender den Kopf zu zerbrechen.