Jan Tschichold |
Es gibt unter den Musen verschiedene Charaktere, nämlich
1. Rampensäue wie Theater, Musik, Skuptur, Bildende Kunst
und
2. Bescheidene Putzkräfte mit Schwerpunkt "Nutzbarkeit", dazu gehört größtenteils die Architektur, das Design von Gebrauchsgegenständen und unbedingt Typografie und Satz.
Wenn ein Architekt ein Gebäude entwirft, dann kann er seiner Kreativität zum Teil ein sichtbares Denkmal setzen, so wie die Musik, das Theater und die Skulptur aus dem Vorführen leben. In großen Teilen ist er aber der Funktionalität unterworfen und muss Himmelsrichtungen, Klima, Bodenbeschaffenheit, gesetzliche Vorschriften und soziale Aspekte und vieles mehr in seine Planung einbeziehen.
Der Künstler kommuniziert gern direkt und auffällig mit dem Betrachter. Bei den ersten beiden ist diese Kommunikation in Echtzeit möglich, bei der Bildenden Kunst dann, wenn der Künstler ein Publikum zulässt, was vor allem bei modernen Formen der Aktionskunst geschieht.
Wenn der Architekt sich aber da künstlerisch auslassen möchte, wo es um Funktion geht, muss er sich absolut zurücknehmen. Wenn er es witzig fände, die Abstände der Treppenstufen verschieden zu gestalten, weil das seinen Treppen eine künstlerische Note verleihen würde, dann würde er gesteinigt werden von denen, die auf seinen Stufen stolpern.
Das Lesen von Druckwerken ist so eine Stufenfolge. Die Kunst ist hier, die Kunst nicht bemerken zu lassen. Der Leser darf nicht stolpern.
Typografie und Satz sind dienende Künste. Sie müssen sich ganz in den Dienst der Funktion stellen. Je weniger man von ihnen bemerkt, desto zufriedener wird der Leser sein. Dazu gehört Bescheidenheit, genau wie eine Putzfrau ihre Arbeit ja auch nicht signiert. Man merkt nur, wenn sie nicht da war. War sie da und ist sie gut, bemerkt es niemand. Trotzdem ist auch sie zufrieden.
Der Spielraum für künstlerischen Selbstausdruck in der Schriftgestaltung ist winzig. Alle optischen Signale dürfen nur der Lenkung auf dem Lesepfad dienbar sein, sonst verwirren sie zwangsläufig und sollten vermieden werden.
Schon der Anblick von Ordnung in einem typografischen Werkstück ist Teil des Genusses für den Leser.
Und es ist für den Setzer eine Schulung in innerer Disziplin, die ihm ermöglicht, die äußerliche Ordnung herzustellen, die den Leser beglückt, weil sie ihn nicht stört, nicht ablenkt, sondern sich fährt wie ein gut designtes Auto.
Ein epochemachender Typograf:
http://tipografos.net/fonts/Jan-Tschichold-DE.pdf