Welche Freiheit ist wirklich in Gefahr? |
Sie sind ja alle solche Freigeister, solche Skeptiker, solche rasend intelligenten Durchblicker, die Leute, die das Schild "Ich bin Charlie" hochhalten. Sie haben Null Verständnis dafür, dass jemand religiös empfinden könnte. Dass er sich mit einer zentralen Gestalt seiner Religion, seines Glaubens so stark identifiziert, dass es schlimmer ist, als würde man seinen Vater beleidigen.
Mein erster Mann und ich 1992. Ja, ich bin parteiisch. Und nein, ich bin nicht Muslima. |
In den Teestuben rund um den Globus dürfte eine einhellige Meinung herrschen, was das Attentat betrifft: Das war unmöglich und verdammenswert. Nicht allein, weil da Menschen gestorben sind. Natürlich, das vor allem. Aber auch deshalb, weil man den Muslimen in aller Welt, die in einem Gastland leben, wieder ein Stück moralisches Recht unter den Füßen weggezogen hat. Und auch, dass die Provokationen weitergehen, dazu jetzt im Brustton der Überzeugung, das dürfte für einige Bitterkeit sorgen. Denn eines ist ja nicht "pardonné": dass der Prophet überhaupt dargestellt wird. Es gehört zu den heiligen Sitten der Islamischen Kunst, den Propheten gar nicht oder allenfalls mit einem verschleierten Gesicht darzustellen.
Der Islam ist nicht humorlos. Muslime machen sich über alles Mögliche lustig, wie in der ZEIT zu lesen war. Nur sind ihnen einige Dinge eben doch heilig, mehr als uns.
Bei der Radikalität, die sich in vielen Meinungen ausdrückt, kommen einem Zweifel, ob ein säkulares Denken wirklich gleichzusetzen ist mit Toleranz und intellektueller Überlegenheit. Dabei ist der missionarische Eifer, mit dem viele gegen alle Religionen zu Felde ziehen, nicht so weit entfernt von dem der Fundamentalisten aus verschiedenen Glaubensbekenntnissen. Und er ist auch keineswegs weniger politisch.
Die größte Statue, die in der westlichen Welt angebetet wird, ist der Götze der Freiheit. Und wir arbeiten uns an der Erhaltung eines kleinen Eckchens ab, an dem diese Freiheit angeblich in Gefahr ist. Dabei kommt von hinten eine ganz andere Gefahr für die Demokratie. Ist Ihnen nicht auch schon aufgefallen, dass die Wählermeinung immer weniger bewirkt, dass sie immer weniger durchsetzen kann, was die meisten Leute wollen? Fast niemand will Atomkraft, aber immer weniger Leute wählen die Partei, die dafür eintritt. Niemand will genetisch manipulierte Nahrungspflanzen, aber ein Verbot ist schlicht nicht durchsetzbar. Niemand will Fracking, aber ein Verbot ist nicht durchsetzbar. Wir sind ja gar nicht Bürger demokratischer Staaten. Wir sind Konsumenten auf einem Spielplatz mit ein paar pseudodemokratischen Spielsachen. Und weil die wenigsten Bürger das begriffen haben, artikuliert sich ihr Unbehagen nicht oder nicht richtig. Dann verbeißen wir uns in die nächstliegenden Verdächtigen, aber wir konfrontieren uns nicht mit Big Oil, Big Pharma, Big Farming. Und die aufregenden kleinen Scharmützel auf unserem Spielplatz -- blonde Kinder gegen schwarzhaarige Kinder -- sind ein Kleinkrieg, der den wahren Nutznießern der Uneinigkeit gerade recht kommt.
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