Die Autorin mit 8 Jahren, nach langen vergeblichen Aufforderungen zu lächeln |
Die Autorin mit 27, immer noch in ihrer Sturm-und-Drang-Zeit |
Ist es nicht verblüffend, wie verschieden wir uns selbst und andere uns sehen? Die Mimik, die in unserer Gesellschaft als verbindlich und freundlich angesehen wird, ist zum Teil eine kulturelle Verabredung, die gelernt wird, und zwar in einer recht frühen Lebensphase. Es gibt aber auch mimische Zeichen, die angeboren sind, zum Beispiel das Augenbrauen-Hochziehen, wenn man jemanden erkennt, das ist auf der ganzen Welt in allen Kulturen nachgewiesen. Es wäre interessant zu erfahren, ob die Strukur des autistischen Gehirns die mimischen Zeichen nicht erfassen KANN oder ob sie verpasst werden, weil das autistische Kind mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist.
Tatsache scheint aber zu sein, dass die "verbindliche, freundliche Kontakt-Mimik" die Eintrittskarte für fast alle Typen von Gesellschaft ist, ob nun Freundeskreise, Seminargruppen, Bewerbungsgespräche, Vereins-Beitritte, überall kommt es offenbar viel mehr auf die Zeichen an, die wir mit Augen, Mund, Gesichtsfalten, Haltung, Händen vermitteln, um zu zeigen, dass wir dazugehören wollen und können, als auf Talent und Qualifikationen.
Wer das nicht beherrscht, bei dem wird vermutet, dass er an der Zugehörigkeit nicht wirklich interessiert ist oder die nonverbale Kontaktsprache nicht beherrscht. Autisten sind vor allem dafür bekannt, dass sie nicht in die Augen schauen. Das wird von den NT (Neurotypischen) als Unehrlichkeit gelesen. Forscher vermuten wiederum, dass der Blick in die Augen dem Autisten zuviel abverlangt, dass -- wie es auch in der Theorie der "Intensiven Welt" ausgesagt ist, der Blick in die Augen eines anderen Menschen zu intensiv ist für den Autisten. Es ist ein Kontakt, der zu intim sein kann, und man darf auch nicht vergessen, dass es unter Tieren ein Akt der Aggression ist, einem anderen direkt in die Augen zu sehen. Tiere vermeiden es, einen Artgenossen durch diese Konfrontation zu reizen; Sie haben es sicher schon oft erlebt, dass Ihr Hund oder ihre Katze Ihrem Blick ausweicht.
In die Augen zu sehen ist also im zwischenmenschlichen Kontakt ein Signal, dass Sie sich einer Konfrontation stellen können. Sie zeigen damit, dass Sie bereit sind, einen Konflikt auszuhalten. Es ist also eigentlich ein aggressives Signal, das aber notwendig ist, um in eine Gemeinschaft von Homo Sapiens aufgenommen zu werden, in einen Club, in eine Firma, in eine Familie. Wenn Sie jemanden fragen, warum es wichtig ist, dass man sich in die Augen sieht -- zum Beispiel, wenn man die Hand drückt oder mit dem Glas anstößt --, dann wird als Grund wahrscheinlich die Ehrlichkeit angeführt. In Wirklichkeit haben Sie aber ein Individuum darauf überprüft, ob es aggressiv genug sein kann, um für die Gemeinschaft einzustehen.
Der Autist ist ein Einzelkämpfer. Weder ist er sonderlich daran interessiert, für die anderen einzustehen, noch erwartet er diese Art des Opfers von anderen. Darum geht er bei Augenkontakt eher davon aus, jetzt einem aggressiven Blick auszuweichen, wie eine Katze es tut, wenn ihr nicht nach Konfrontation zumute ist.
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