Warum kümmerst du dich um sowas?

Es fällt mir einfach schwer, zu manchem die Klappe zu halten. Von sprachlichen Schnitzern bis hin zu politischen Debatten. Also sammle ich, was mir so auffällt -- und eine Bemerkung verdient...

Mittwoch, 21. Mai 2014

Sagte jemand, sie sei interessiert?

Das ist natürlich sehr schmeichelhaft. Also erzähle ich ein bisschen aus dem Leben einer nicht diagnostizierten Autistin, die inzwischen die Mitte 60 erreicht hat.

Erinnerungen einer alten Autistin Teil I


Ja, wo fange ich an? Als ich aus dem Elternhaus ging, denke ich mal, denn das ist ja immer der Beginn einer Eigenexistenz.
Ich habe noch lange bei den Eltern gelebt, das war meine beschützende Werkstatt. Auch noch mit Staatsexamen I in der Tasche. Aber langsam wollten sie mich loswerden.
Sie machten sich Sorgen, was "aus mir werden sollte", denn ich war eine versponnene, chaotische junge Frau, die es nicht auf die Reihe kriegte, ihr Zimmer aufzuräumen, aber erstaunliche Bilder malte. Als ich dann eine eigene Wohnung nahm, fing das gleich mit einem Missverständnis an, ich habe nicht begriffen, dass das nur auf Zeit war -- die Vermieterin hatte sich da etwas kryptisch ausgedrückt, aber ich kam nicht auf die Idee, da misstrauisch nachzufragen. Ich war extrem blauäugig und schlecht auf das Leben vorbereitet. Ich hatte einen Lehrauftrag für Kunst und unterrichtete mehr schlecht als recht. Damals waren die Leistungsanforderungen noch viel lockerer als heute. Ich war ja Pastors Tochter im Ort, da gab es dann Förderung.
Also, ich versuche, nicht so auf Gutdünken über mich zu reden, sondern die typischen Autismusprobleme zu beleuchten.
Ich war extrem gutgläubig und ließ mich ausnutzen und hatte teils auch noch Spaß dran. Es gab Leute, die regelmäßig bei mir ein und aus gingen, weil mein Kühlschrank immer voll war. Ich hielt mich für sexuell emanzipiert (Mitte der Siebziger war das auch nicht schwer), weil ich mir jeden nahm, der mir gefiel, aber später habe ich begriffen, dass ich dafür verachtet wurde. Mein Leben war weiterhin chaotisch, meine Grundstimmung seelisch meist überfordert. Ich verliebte mich oft und fast immer in Ungeeignete. Auf die meisten Ereignisse reagierte ich heftig, panisch, aggressiv oder sonstwie unangemessen und stellte durch einen Horrortag fest, dass durch Drogen meine ohnehin leicht hysterische Grundhaltung völlig kippte.
Ich ging dann ins Referendariat, merkte aber, dass mich ein Teil der Seminarleiter überhaupt nicht als Lehrer haben wollten. Einer fragte mich: "Können Sie nicht kleine Bildchen malen?" Ich war sehr gekränkt, teils, weil malen ja das war, was ich am liebsten getan hätte, und es war für mich ein großer Schmerz, dass ich davon nicht würde leben können -- das war mir klar. Dazu kam die Herablassung in der Weise, wie er mir das sagte.
Er hatte wohl keine Ahnung, dass diese Beschäftigung einige Jahre später tatsächlich ein Zubrot sein würde.
(Fortsetzung folgt vielleicht)

Donnerstag, 27. März 2014

Schmiede das Eisen, solange es heiß ist -- oder: Autistische Kinder unter dem ABA-Hammer

Ich verstehe ja nichts von ABA, lese nur hier und da, dass dadurch Kinder verschiedene Dinge gelernt haben, die sie vorher nicht konnten. Man hat den Eindruck, dass die Vertreter von ABA es eilig haben, sie wollen die kostbare Zeit nutzen, solange das Kind noch klein ist.
Es mag ja im allgemeinen stimmen, dass Kinder in der frühen Kindheit die größten Fortschritte machen und dass das Gehirn später nicht mehr so aufnahmefähig ist.
Mir scheint aber, dass man diese Aussage bei Autisten aus zwei Gründen modifizieren muss, und eine dieser Aussagen hängt mit der "Theorie von der Intensiven Welt" zusammen. Die Autoren behaupten und belegen, wie in den angegebenen Quellen nachzulesen ist, dass das autistische Gehirn im Gegenteil zur üblichen Ansicht Ruhe braucht, um nicht in seine Inselbildung zu verfallen, die ein Not-Aus für das überwältigte Kind bedeutet.
Das Kind wird also nach seinem eigenen Tempo lernen, wenn man es in Ruhe lässt.
Wenn es bestimmte Dinge nicht lernt, also z.B. nicht spricht, hat es vielleicht seine Gründe, und das darf uns nicht beunruhigen. Denn da das Gehirn hyperplastisch ist, also auch noch in späterem Alter weit lernfähiger ist als das neurotypische Gehirn, kann alles Mögliche an Lernstoff nachgeholt werden, wenn der einzige Lernantrieb da ist, der ein autistisches Kind bewegen kann, nämlich Motivation.
(Wir Autisten sind nämlich verdammte Genussmenschen, wir tun nur, was uns Spaß macht, aber das machen wir dann so überwältigend gut, dass immer noch genug für die Gesellschaft abfällt. Wir tun es nur nicht dann, wenn man es von uns erwartet. Aber das ist ja nicht unsere Schuld ;-) )
Jedenfalls habe ich trotz einer 5 in Mathe im Abi mir selber beigebracht, wie man Dreisatz-Rechnungen mit Bogengraden und -minuten rechnet; mit 50 kam ich in einem Test auf eine durchschnittliche Begabung für Mathe.
Wer macht sich da denn nass, wenn sein Aspie-Kind beschlossen hat, dass es erst einmal der Welt noch nichts zu sagen hat? Vielleicht wartet es nur auf einen Grund zum Reden.

Auszug aus einem Kommentar zur einem Artikel der ZEIT online:
http://www.zeit.de/.../03/autismus-kinder-verhalten/seite-1
"Die hier vorgestellte Therapie empfinde ich als grausam, weil sie dem Kind jede Form von Autonomie und Würde untersagt. Es ist in der Tat eine Dressur. Dass dabei positive, messbare Ergebnisse erzielt werden, ist aus meiner Sicht kein Beweis für ihren Erfolg. Inwieweit sich das Ganze am Ende traumatisch auswirkt, ist eine Frage, die hier nicht hinterfragt wird. Dass diese Methode der typisch amerikanischen Mentalität entspricht, ist außerdem kein Zufall. Ich frage mich: Wie soll ein autistisches Kind lernen sich in andere hineinzuversetzen, wenn es die gleiche Erfahrung selbst nicht macht? Des weiteren fehlt mir, dass auch ein autistisches Kind die Erfahrung machen darf, dass es so, wie es geboren wurde, liebenswert und richtig ist."

Dienstag, 25. Februar 2014

Mimik als Eintrittskarte

Die Autorin mit 8 Jahren, nach langen
vergeblichen Aufforderungen zu lächeln
Die Autorin mit 27, immer noch
in ihrer Sturm-und-Drang-Zeit




Ist es nicht verblüffend, wie verschieden wir uns selbst und andere uns sehen? Die Mimik, die in unserer Gesellschaft als verbindlich und freundlich angesehen wird, ist zum Teil eine kulturelle Verabredung, die gelernt wird, und zwar in einer recht frühen Lebensphase. Es gibt aber auch mimische Zeichen, die angeboren sind, zum Beispiel das Augenbrauen-Hochziehen, wenn man jemanden erkennt, das ist auf der ganzen Welt in allen Kulturen nachgewiesen. Es wäre interessant zu erfahren, ob die Strukur des autistischen Gehirns die mimischen Zeichen nicht erfassen KANN oder ob sie verpasst werden, weil das autistische Kind mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist.

Tatsache scheint aber zu sein, dass die "verbindliche, freundliche Kontakt-Mimik" die Eintrittskarte für fast alle Typen von Gesellschaft ist, ob nun Freundeskreise, Seminargruppen, Bewerbungsgespräche, Vereins-Beitritte, überall kommt es offenbar viel mehr auf die Zeichen an, die wir mit Augen, Mund, Gesichtsfalten, Haltung, Händen vermitteln, um zu zeigen, dass wir dazugehören wollen und können, als auf Talent und Qualifikationen.
Wer das nicht beherrscht, bei dem wird vermutet, dass er an der Zugehörigkeit nicht wirklich interessiert ist oder die nonverbale Kontaktsprache nicht beherrscht. Autisten sind vor allem dafür bekannt, dass sie nicht in die Augen schauen. Das wird von den NT (Neurotypischen) als Unehrlichkeit gelesen. Forscher vermuten wiederum, dass der Blick in die Augen dem Autisten zuviel abverlangt, dass -- wie es auch in der Theorie der "Intensiven Welt" ausgesagt ist, der Blick in die Augen eines anderen Menschen zu intensiv ist für den Autisten. Es ist ein Kontakt, der zu intim sein kann, und man darf auch nicht vergessen, dass es unter Tieren ein Akt der Aggression ist, einem anderen direkt in die Augen zu sehen. Tiere vermeiden es, einen Artgenossen durch diese Konfrontation zu reizen; Sie haben es sicher schon oft erlebt, dass Ihr Hund oder ihre Katze Ihrem Blick ausweicht.
In die Augen zu sehen ist also im zwischenmenschlichen Kontakt ein Signal, dass Sie sich einer Konfrontation stellen können. Sie zeigen damit, dass Sie bereit sind, einen Konflikt auszuhalten. Es ist also eigentlich ein aggressives Signal, das aber notwendig ist, um in eine Gemeinschaft von Homo Sapiens aufgenommen zu werden, in einen Club, in eine Firma, in eine Familie. Wenn Sie jemanden fragen, warum es wichtig ist, dass man sich in die Augen sieht -- zum Beispiel, wenn man die Hand drückt oder mit dem Glas anstößt --, dann wird als Grund wahrscheinlich die Ehrlichkeit angeführt. In Wirklichkeit haben Sie aber ein Individuum darauf überprüft, ob es aggressiv genug sein kann, um für die Gemeinschaft einzustehen.
Der Autist ist ein Einzelkämpfer. Weder ist er sonderlich daran interessiert, für die anderen einzustehen, noch erwartet er diese Art des Opfers von anderen. Darum geht er bei Augenkontakt eher davon aus, jetzt einem aggressiven Blick auszuweichen, wie eine Katze es tut, wenn ihr nicht nach Konfrontation zumute ist.