Warum kümmerst du dich um sowas?

Es fällt mir einfach schwer, zu manchem die Klappe zu halten. Von sprachlichen Schnitzern bis hin zu politischen Debatten. Also sammle ich, was mir so auffällt -- und eine Bemerkung verdient...

Dienstag, 29. Oktober 2013

Je weniger logisch, desto langlebiger

Auch eine kleine Maria (mein zweiter
Vorname) mit blonden Haaren und
blauen Augen
Legenden halten sich mit einer solchen grauenhaften Hartnäckigkeit, dass man am Verstand der Menschen noch mehr zweifeln möchte, als man es sowieso schon tut. Da haben die Behörden in Griechenland eine kleine Maria aufgegriffen, die sich von den Menschen, bei denen sie lebt, krass im Äußeren unterscheidet. Die Eltern von sehr dunkler Hautfarbe -- die leiblichen Eltern können das nicht sein, schloss die griechische Polizei messerscharf. Und wenn sie es nicht sind, müssen sie das Kind gekidnappt haben.

Ich finde, diese Begebenheit stellt den Behörden am Rande Europas ein grauenhaftes Zeugnis aus. Haben die niemals zwei wesentliche Punkte in ihrer Schulung genossen? -- Moderne Informationen über Europas Minderheiten, wenigstens grobe Grundfakten über ihre Situation und die Vorurteile gegen sie sollten doch inzwischen zur grundlegenden Schulung von Staatsdienern in der EU zählen, genau wie der Grundsatz einer vorurteilsfreien Ermittlung aufgrund der reinen Faktenlage. Nein: "Zigeuner entführen blonde Kinder."

Dazu fallen mir gleich ein paar Fragen ein:
-- Haben sie es nötig, sich noch mehr Belastung aufzubürden, in ihrer materiell und sozial angespannten Lage?
-- Können sie es sich bei den sowieso schon bestehenden Vorurteilen der ansässigen Bevölkerung leisten, etwas zu tun, was ihnen noch mehr Hass einträgt?
-- Wie kommt es zu der verrückten Idee, sie hätten es gekauft? Im Gegenteil, eigentlich hätte die leibliche Mutter Kostgeld bezahlen müssen, was sie aber nicht konnte.
-- Warum sollten sie ein blondes und blauäugiges Kind bevorzugen? Das Vertraute ist uns doch oft lieber als das Fremde. Dieser Gedanke, dass "die Zigeuner unbedingt ein blondes Kind stehlen wollen" ist mit einer geradezu mittelalterlichen Unreflektiertheit Ausdruck von Ethnozentrik. Er gehört ebenso zum Grundbestand des faschistischen Denkens.

Inzwischen sind die Eltern von Maria gefunden. Es ist ein Elternpaar, das sein Kind bei dem Roma-Paar besser aufgehoben sah. Auch sie sind viel dunkler von Teint als Maria. Wer glaubt, dunkelhäutige, schwarzhaarige Menschen könnten keine blonden Kinder haben, der kann sich ja mal in den Dörfern Süditaliens umsehen, hier geistern noch ein paar normannische Gene herum, und Familien mit dieser Farbverteilung habe ich in den Sechzigern selber gesehen. Diese Kinder werden später dunkel, hörte ich. In diesem Fall scheint es sich um eine Tendenz zum Albinismus zu handeln.

Vielleicht sind auch Marias Eltern Roma, so wie die Pflegeeltern. Das Vertrauen, das da herrschte, lässt da vermuten; gelesen habe ich es nicht (Update: Sie ist ein Roma-Kind. Haha!). Diese Menschen, die sich die Mühe gemacht haben, auch für Maria zu sorgen, die ihr sogar ein hübsches Eckchen um ihr Bett eingerichtet haben, sind noch in Haft, weil man ihnen Missbrauch von Kindergeld vorgeworfen hat. Vielleicht haben sie einfach eine weniger bürokratische Auffassung davon, zu welcher Familie welches Kind gehört.
Und sie sollen sie zum Betteln geschickt haben. Wer sich darüber aufregt, den möchte ich fragen, ob er bereit wäre, Marias Pflegevater als Hausmeister anzustellen. Nein? Nun, welche Jobchancen bieten sich ihm dann noch?
Genetische Abstammung wird überschätzt. Bei den Innuit war es Gang und Gäbe, dass man Kinder eines Clans, unbeachtlich der leiblichen Herkunft, unter den Elternpaaren verteilt hat, damit die gute Versorgung aller gewährleistet war und damit kinderlose Paare auch eine Chance hatten, Kinder im Umfeld zu haben, die im Heranwachsen auch Helfer bei der Jagd wurden.

Was lehrt uns diese Geschichte?
Es gibt noch unendlich viel aufzuarbeiten in Europa. Vorurteile und die Benachteiligung unserer Minderheiten sind der Grund, wenn Europa an vielen Stellen nicht auf der Höhe der Zeit ist. Gerade die Menschen, die im Dienst des Staates arbeiten, wie die Polizei oder Armeen, müssen in dieser Hinsicht dringend geschult werden. Dafür sollte die EU-Komission Richtlinien erarbeiten und durchsetzen statt Apfelgrößen zu normieren.

Über diese Geschichte in der Süddeutschen

Mittwoch, 31. Juli 2013

Alkaholiker?

Man begegnet ihm fast überall, auch wenn er nicht ständig so genannt wird: Der Workaholic. So die offizielle Schreibung. Erstaunte Fragen: Wieso nicht Workoholic, wenn es doch von Alkohol und nicht Alkahol abgeleitet worden ist?
Nein, im Land of the Free hat man sich die Freiheit genommen, es mit a zu schreiben. Auch das mag Freiheit sein. Inzwischen hat der Workaholic auch den Duden erreicht.

Die Logik steht wieder einmal auf verlorenem Posten.

Dienstag, 30. Juli 2013

Noch mal und nicht ohne Zorn:

"Wie" oder "als"? Oder gar nichts?
Ein Bericht heute Vormittag (Sender leider nicht mehr ermittelbar) über die Bemühungen der australischen Ureinwohner stellt dar, wie sie das Wissen ihrer Ahnen über das Leben in der Natur zu erhalten suchen.
"Die Aborigines leben wie Ausgestoßene."
Gut gemeint und voll daneben. Es wird davon erzählt, wie schwer ihr Weg zu Bürgerrechten war, dass ihnen eine Generation durch systematisches Kidnapping gestohlen wurde.
Nur WIE Ausgestoßene? Ich würde sagen, sie leben ALS Ausgestoßene. Oder, ohne Konjunktion: Sie sind Ausgestoßene. Immer noch. Eine um 20% verminderte Lebenserwartung und eine 14x so große Inhaftierungsquote wie bei Weißen lässt diesen Schluss zu.

"Wie" Ausgestoßene. Sie sind es nicht wirklich, sie tun nur so.
Wie verräterisch kann doch so ein kleines Wort sein!

Bereits vor Jahren habe ich darüber philosophiert: Hier.

Mittwoch, 24. Juli 2013

Großes ß revisited

In Facebook gibt es eine Seite von Befürwortern der Einführung eines ß als Großbuchstaben.
Wie ich schon früher schrieb, halte ich das für Unfug. Da seine linke Hälfte ein Kleinbuchstabe ist, handelt es sich um einen Zwiebelfisch, einen Griff in den anderen Setzkasten, in den mit den Minuskeln. Zwiebelfisch stinkt.

Donnerstag, 20. Juni 2013

Ich bin ein AspieGirl: Weibliches Asperger Syndrom und Superkräfte

Übersetzung eines Artikels von Tania Marshall mit freundlicher Genehmigung der Autorin

AsperKraft

1. einmaliges Charakteristikum, Zug oder Gabe oder Kombination davon,
2. eine Superkraft, eigen jemandem mit Asperger Syndrom
3. Übersinnliche Macht, Kraft oder Fähigkeit,
4. oder etwas, das mit dem Werk von Hans Asperger zu tun hat

AspienGirl (c)

1. Junge weibliche Person vom Planet Aspien; weibliche Erwachsene vom Planet Aspien
2. weibliche Person mit Asperger-Syndrom; sie hat ein Profil, das sich vom männlichen mit Asperger-Syndrom unterscheidet
3. weibliche Person mit anders verkabeltem Gehirn

Planet Aspien(c)

1. Ein Planet, von dem die Aspiens kommen
2. Eine Platform; sie unterstützt und befürwortet und konzentriert sich auf einmalige Stärken, Fähigkeiten und Gaben von Mädchen und Frauen mit dem Asperger-Syndrom oder Hochfunktionalem Autismus
3. Ein Ort, wo Frauen sich ermächtigt, unterstützt und verstanden fühlen.

Nachdem ich jahrelang mit Frauen aller Altersgruppen aus dem Autistischen Spektrum oder Asperger-Syndrom arbeite, habe ich herausgefunden, dass diese speziellen Individuen eine einmalige Kombination von Fähigkeiten, Charakteristiken und Zügen aufweisen. Ein großer Teil meiner Arbeit besteht aus Unterstützung, Unterrichtung und Fördern von stärkenbasierten Modellen der Beschreibung von Individuen mit Autismus. Die Sprache und die Worte, die wir verwenden, besitzen Macht. In meiner Arbeit benutze ich ein Modell, das sich konzentriert auf Beurteilung und Beschreibung von Menschen, gestützt auf ihre Stärken, Fähigkeiten, Gaben und Talente. Das soll nicht heißen, dass wir die Schwierigkeiten ausblenden, aber das ist ein anderer Artikel. Dieser ermutigt die Leute, sich mit dem Positiven zu befassen, das Asperger jetzt und früher der Welt gegeben haben, indem sie ihre Asperkräfte nutzen. In meiner klinischen Arbeit habe ich Menschen aller Altersgruppen mit erstaunlichen Kombinationen verschiedenster Fähigkeiten, Talenten und Gaben erlebt.
Das Folgende beschreibt meine Top 10 der allgemein sichtbaren Stärken und Begabungen, Asperkräfte von Mädchen und Frauen mit dem Asperger-Syndrom und/oder hochfunktionalem Autismus, einmalig eigen in dieser Kombination bei Aspien-Mädchen oder -Frauen. Ich spreche von diesen Qualitäten als Superkräften oder Asperkräften, weil ich viele Male gesehen habe, dass diese Kräfte, wenn sie benutzt und beschützt werden, zu einem erfolgreichen Leben und/oder Karriere führen.

Feiern wir nun diese einmaligen Superkräfte von Mädchen und Frauen mit Asperger-Syndrom und erfahren wir mehr über sie:

1. Asperkraft-Intelligenz: Die Fähigkeit zu einem IQ, der von überdurchschnittlich bis zum Genie reicht, verglichen mit einer ähnlichen Gruppe. Aspien-Mädchen und Frauen besitzen intellektuelle Fähigkeiten, die ihnen einen deutlichen Vorsprung auf den Gebieten des Lernens, Behaltens und der Unterrichtung verschaffen und die die Promotion in Geisteswissenschaften umschließen. Viele Aspies lernen ihr Leben lang.

2. Asperkraft-Lehrer/Autodidakten: Die innewohnende Fähigkeit, sich selber Aufgaben zu stellen und zu lösen, sich Fähigkeiten anzueignen, deutlich eher, als in einer standardmäßigen Lehrsituation zu lernen. Beispiel: Sich selber das Tanzen beizubringen und später Tanzlehrer zu werden; sich selber Computerprogramme anzueignen und sie später Kindern zu erklären.

3. Asperpower-Einblicke und Wissensdrang: Die Fähigkeit, ein tiefer und nach innen gewandter Denker zu sein mit einem intensiven Streben nach Wissen, mit dem Verlangen, die Antworten auf endlose Folgen von Fragen zu finden und sich auf die "innere Welt" zu konzentrieren. Der Drang zu verstehen, wie die Dinge funktionieren, die Antworten auf Fragen und das Philosophieren kann intensiv werden. Verbunden mit Asperkraft-Superkonzentration führt diese nach innen gerichtete Neugier oft dazu, dass jemand Experte auf dem gewählten Gebiet wird. Aspien-Mädchen sind oft bekannt als "verkopft", "Denker", "kleine Philosophinnen", die ihre reiche und komplexe innere Welt genießen.

4. Asperkraft-Superkonzentration/-Besessenheit: die Fähigkeit, lange Zeitabschnitte in ihrem Spezialinteresse zu verbringen, zeitweilig im Extrem des Fastens, pausenlosen Arbeitens, stundenlanger Konzentration, und -- falls ungestört -- tagelang. Beispiel: Autoren, die Bücher schreiben, Künstler, die an einem Bild arbeiten, Webdesigner, die an einer Site arbeiten, die es in wenigen Tagen schaffen, kaum Pausen machen, ein komplettes Projekt vom Anfang bis Ende durchziehen.

5. AsperKraft-Einsamkeit: Oft beschrieben als "in ihrer eigenen Welt", die Fähigkeit, allein zu sein, zu arbeiten, zu lesen oder andere Tätigkeiten über lange Zeiträume durchzuführen, ohne dass das Bedürfnis nach menschlicher Gesellschaft aufkommt. Die Kraft der Innenschau überwiegt das soziale Bedürfnis, so dass die Apiens mehr Zeit für ihre Spezialinteressen aufwenden können. Viele Aspies verbringen lange Zeiträum mit Schreiben, Lesen, Programmieren, kreativer Arbeit, Malen und Zeichnen, und nur Haustiere sind ihre Gesellschaft. Aspie-Mädchen ziehen die Begegnung unter vier Augen der mit Gruppen vor. Andere könnens ich besser durch Schreiben, Kunst, Singen oder andere Mittel ausdrücken, sie genießen die Perioden des Alleinseins, sie genießen Arbeit, die ihnen erlaubt "einzutauchen" -- mit möglichst wenig Unterbrechungen.

6. AsperKraft-Kreativität: In Kombination mit anderen AsperKräften sind Aspie-Mädchen hochkreativ, phantasievoll oder kreativ eingestellt. Sie haben die Möglichkeit, Dinge zu kombinieren, die sie auf komplexe und ursprüngliche Art erkennen. Das macht sie zu Visionären, die originelle, einmalige Werke der Kunst, Raumkunst, Objektkunst oder Schriftstellerei herstellen.
Diejenigen, die künstlerische Neigungen mit ihrer sensiblen Wahrnehmung verbinden und die einen Blick für das Detail haben, können erfolgreiche Kunstschaffende werden. Diese Superkraft verbindet sich mit der Fähigkeit zur inneren Schau und führt so zu Karrieren als Bestseller-Autoren, Maler und anderer Künstler.

7. AsperKraft Intuition, Emotionales Mitfühlen und Umweltbewusstsein: Viele weibliche Personen sind hochsensibel und fühlen mit anderen, indem sie die Emotionen anderer wie die eigenen fühlen, ich spreche dann gern von "übertragener Emotion". die sich in die Energien und Gefühlszustände anderer einklinken. Übertragene Emotionen machen es leicht für Aspies, wahrzunehmen, was andere wollen, und machen ihre Beziehungen echt und liebevoll. Das gibt Aspies die Fähigkeit, anderen zu Diensten zu sein, es ist eine starke Fähigkeit, Quellen von Information ausfindig zu machen und Lösungen anzubieten, die jenseits von dem liegen, was durch Analyse, Rationalität, Logik oder Intelligenz steht. Oft "wissen" sie es einfach, wenn sie auch nicht sagen können, wie sie dazu gekommen sind, es zu wissen. Ökologisches Mitfühlen ist die Fähigkeit, das Wohlergehen und die Bedingungen des eigenen Umfeldes und der Natur, der Tiere u.a. zu erkennen. Diese Fähigkeit setzt sie in die Lage, mit Tieren aller Art zu kommunizieren und sie zu Verhaltensweisen auf Kommando zu trainieren. Die Tendenz, bewusster zu sein und innere Zustände stärker zu erfahren, kann kreative Arbeit reicher und tiefer machen, die Arbeit als Schriftsteller, Musiker, Schauspieler und andere Künstler. Hohe Sensibilität für die Gefühle anderer, von Tieren oder der Natur kann ein kraftvolles Talent für Lehrer, Manager, Therapeuten, Anwälte, Tierrechtler und Menschenrechtsaktivisten darstellen.

8. Asperkraft-Talente und Gaben: Die Fähigkeit, innewohnende Naturkräfte und Fähigkeiten zu kontrollieren, die eine der Folgenden enthalten, kann oft schon in einem frühen Stadium des Lebens entdeckt werden: Sprache, Musik, Kunst, Schreiben, anderen helfen, mit Tieren oder der Natur zu arbeiten, redationelle Arbeit, Unternehmertum, Gesundheitsberufe, Lehrer und Spezialausbilder, Technologie, Wissenschaft, lebenslanges Lernen, Experte auf mehr als einem Gebiet.

9. AsperKraft-Unabhängigkeit, Willenskraft, reine Entschlusskraft: Das Bedürfnis, Dinge selber zu machen, weil ein Aspie ein "Nein" nicht akzeptiert und dazu tendiert, sich gegen Hilfe zu wehren oder dagegen, dass jemand anderes etwas erledigt, selbst wenn sie es braucht. Das heißt, dass sie länger braucht als die Personen ihrer Vergleichsgruppe.
Wenn sie entschlossen ist zu erreichen, was sie sich in den Kopf gesetzt hat, erreicht sie es mit 100%iger Sicherheit.

10. AsperKraft-Perfektion: Als geborene Perfektionisten sind Aspiens gewissenhafte, harte Arbeiter, die nach Vollkommenheit streben. Sie bemühen sich sehr, keine Fehler zu machen, nichts zu vergessen, und sie tendieren dazu, am besten zu sein, wenn keine Fremden anwesend sind. 

Dienstag, 28. Mai 2013

Pass mal auf, das ist doch ganz einfach

Wie man einem Aspie etwas erklärt

Wie fängt es jemand an, der dir etwas erklären möchte?
Türkische Teezeit in Schottland
-- welche Zeit wäre normal?
Er oder sie greift oft auf das Bekannte zurück, benutzt z.B. das Wort „normal“. Woher aber soll jemand mit einer Kommunikationsstörung wissen, was normal ist? Bei meinen Schwiegereltern in der Kleinstadt ist es selbstverständlich, dass Kaffeezeit um drei ist. Das ist so klar, wie die Kirchenglocke um 10 am Sonntag läutet. Das ist eines der Dinge, die als normal gelten. In England ist um 5 Uhr Teezeit, aber auch nicht immer. Es kann auch um 4 oder 6 Uhr Tee geben oder keinen, weil man gleich zum Dinner schreitet.
Nichts ist selbstverständlich, das muss jeder wissen, der etwas erklärt; es ist aber auch nicht angemessen, sondern sogar beleidigend, wenn man zu weit unten ansetzt, vor allem, wenn ein Aspie auf einem bestimmten Gebiet über umfangreiches Wissen verfügt und es lediglich ergänzen möchte. Es muss also um absolute Fakten gehen, nicht um relative. Wenn ich eine Seite setze und bekomme die Information „der untere Rand muss ein bisschen höher“ und wenn ich ihn dann einen Millimeter höher setze und er passt wieder nicht, bin ich mit „tiefer“ schlecht bedient, ich brauche absolute Werte. Das hört sich selbstverständlich an, aber relative Aussagen sind eigentlich keine, sie sind wie die Größenangaben XS bis XL, die eigentlich überhaupt keine Aussage sind als lediglich, dass in einer Serie XS das kleinste Exemplar und XL das größte ist. Wenn die Serien unter einander verschieden sind, z.B. die eine für Teenager, die andere für mollige Damen gefertigt wurde, unterscheiden sich die beiden M-Exemplare durch 30 cm Durchmesser. Noch schlimmer ist es mit Aussagen wie „normal“, „wie immer“, „wie gewohnt“, „das machen alle so“, „so, wie wir es immer machen.“ Solche Aussagen sind für Aspies vollkommen wertlos. Am schlimmsten ist es, wenn die Erklärung eingeleitet wird durch „Pass mal auf, das ist ganz einfach“. Aspies passen immer auf. Sie passen besser auf als der, der das sagt. Sie sehen nur andere Dinge als der Sprecher. Sie sind unter Umständen nicht in der Lage zu verstehen, was der Sprecher sagt, obwohl sie jedes Wort verstehen. Der Sprecher sollte sich in jeder Phase versichern, dass der Zuhörer das in Sinn umgesetzt hat, was gesagt wurde. „Das ist ganz einfach“. Wenn es das wäre, gäbe es keine Notwendigkeit für eine Erklärung. Der Sprecher mag es für eine Ermutigung halten, wenn er das sagt; in Wirklichkeit wälzt er aber die Schuld dafür von sich ab für den Fall, dass die Erklärung nicht verstanden wird. Dann nämlich liegt es am Zuhörer, denn der Inhalt ist ja „ganz einfach“. Manche Aspies haben Schwierigkeiten, eine mündliche Erklärung zu verstehen. Ich brauche z.B. eine bildliche Hilfe. Oder ich muss es geschrieben sehen. Am schlimmsten ist es, wenn noch das Wort „doch“ hinzukommt: „Das ist doch ganz einfach“. Hiermit wird die Aussage zum Vorwurf, etwas bereits Gelerntes nicht wirklich abrufen zu können.
„Pass mal auf, das ist doch ganz einfach“ -- ein Satz, der schlicht verboten gehört.

Statt dessen ist eine mögliche Methode, den Aspie Fragen stellen zu lassen. Wo steht er oder sie gerade? Dass der Lehrende sich auf das Niveau des Aspies einstellt, ist unumgänglich. Ein Vortrag, der nicht genau innerhalb vom Interessengebiet des Aspies bleibt, wird ausgeblendet, ohne dass das in der Absicht des Zuhörers liegt. Aber innerhalb seines Interessengebietes weiß er schon alles, was man wissen kann.
Interesse ist absolut der Schlüssel zum Hinzulernen. Wenn dieses Interesse da ist, ist das Lernen kein Problem. Wenn aber das Interesse fehlt, muss man fragen, ob es nötig ist, sich mit dem betreffenden Sachgebiet überhaupt zu beschäftigen.
Wahrscheinlich erspart man dem Aspie lediglich Verzweiflung und das Gefühl des Nicht-Genügens, wenn man auf diese Belehrungen verzichtet. Denn wenn sich das Gehirn sträubt, diese Dinge aufzunehmen, dann kann man es wahrscheinlich auch nicht erzwingen. Vielleicht lebt man ohne Führerschein oder Zusatzausbildung ganz prima. Sage ich aus eigener Erfahrung.

Freitag, 1. Februar 2013

Starke Verben werden schwach

Wie sang und klang es doch im Deutschen der Romantik. Das Präteritum war noch anerkannt und nicht verfemt. Erzählte man von einem Vorgang der Vergangenheit, dann war es selbstverständlich. Man ging, floh, focht, sprach, fror, ritt, schlug, schoss, brach und stritt. Man kannte die auf- und absteigende Melodie der drei Formen, drei Nornen der Sprache, drei verwandte und doch unterscheidbare Charaktere, die einen Akkord der Zeit sangen. Klingen, klang, geklungen. Der hohe Ton brilliert im Schwung der Gegenwart, die Zeit sank ab in die Vergangenheit und endlich auf den Boden der Zeit im Perfekt und Plusquamperfekt, in der Form der Vergangenheit vor der Vergangenheit. "Ich hatte lange nach ihm gesucht, bis ich 1813 einen letzten Versuch unternahm."

Im sogenannten Bildungsbürgertum überlebte die epische Erzählung. Sie beherrschte den Roman und die Novelle. Das Präteritum war die übliche Form.

Als ich, im Präteritum berichtend, was mir zuhause so passierte, in die Schule ging, sagte ein anderes Kind: "Du sprichst so komisch." Und auf mein Nachfragen antwortete sie: "Man sagt doch 'ich bin gegangen', 'ich bin gekommen', aber du sagst 'ich kam', 'ich ging'..." Als Kind hat man nicht das Selbstbewusstsein, damit umzugehen. Mir wurde nur klar, dass die Gebräuche bei uns zuhause anders waren, und ich führte es wieder einmal darauf zurück, dass wir Balten waren und keine "Reichsdeutschen". Es lag aber an etwas anderem. Meine Eltern hatten beide Abitur, mein Vater hatte zweimal promoviert, meine Schule hingegen lag in einem Arbeiterviertel, der hamburgischen Neustadt.

Es fällt auch heute wieder auf, dass die Imperfekt- oder Präteritum-Form von einigen Sprechern gern umgangen wird; am kläglichsten endet das, wenn man -- aus Unsicherheit, ob es geklappt hat mit der Darstellung einer Vergangenheit -- noch ein "gehabt" hinterherschleichen lässt. Und starke Verben werden schwach, wenn aus "gegoren" ein "gegärt" wird, was im übertragenen Sinn noch halbwegs zu entschuldigen ist, zum Beispiel, wenn es sich um den Zustand vor einer Revolution handelt; unentschuldbar ist es aber, wenn es den Zustand von Traubensaft im Bottich  beschreibt, der gerade zu Wein wurde. Und dergleichen Schnitzer finden wir immer wieder. Eine Weide wiegte sich im Wind, richtig, aber die Händlerin wog mir ein Pfund Butter ab. Ein Gesandter ist kein Gesendeter. Weitere Fundstücke werde ich bei Gelegenheit hinzufügen.

Das Englische, zu dem wir heute vielfach Zuflucht nehmen, rettet uns hingegen nicht vor den starken Verben. Als angelsächsische Sprache wahrt auch sie die farbigen, klangreichen starken Formen. Rise, rose, risen. Formen, die mitunter nicht einmal von englischen Sprechern perfekt beherrscht werden.
Das Denglische macht es also eher noch schlimmer.


Am wildesten wird es ja, wenn der "fightende" Sportler in der Vergangenheitsform beschrieben wird. In völliger Ignoranz darüber, dass auch im Englischen "fight" stark gebeugt wird: "he fought". Und da bietet sich doch die analoge deutsche Form an: "Er focht". Aber -- wer kennt die noch?